Karl Josef Kassing - Schriftsteller

Rundbrief Nr. 28; Sommer 2023

Liebe strapazierfähige Rundbrief-Lesegemeinschaft,

mit dem ‚Wunderland‘, das ich jetzt als neue Edition vorstelle, verbinde ich die Erinnerung an einen jungen hoffnungsvollen Literaten, mit dem ich mich heute noch entfernt identisch fühle.
Damals war das Buch ein Erfolg. Für die Neuausgabe habe ich es sorgfältig überarbeitet. Hat sich die Arbeit gelohnt?  Am besten überzeugt Ihr Euch selbst! Leseproben wie immer: www.fohrman-verlag.de

Ich habe schon öfters von einem Wunderland hier beim Haus, nämlich von meinem Garten erzählt. Natürlich gibt es in Köln auch sonst eine beachtliche Flora. So habe ich auf dem Südfriedhof an zwei Stellen eine wildwachsende Orchidee entdeckt, eine Stendelwurz-Art.  Sie ist zwar so unscheinbar, dass sie
nur sieht, wer sie auch kennt. Aber was soll’s, Orchidee ist Orchidee!
Ein besonders Erlebnis verdanke ich den Poller Wiesen am rechten Rheinufer. Hier blüht das Jahr über eine abwechslungsreiche Flora. Das meiste kann ich auch einordnen, wenigsten so ungefähr. Aber eine Pflanze machte mich ratlos: in Gruppen stehend, bis kniehoch, die Blüten unscheinbar, die Blätter erinnern an Weinlaub, die Samen an Kletten. Und immer, wenn ich da vorbeikam, grinsten sie mich an: Ätsch, uns kennst du nicht! – Szenenwechsel. Ich arbeite in meiner Wohnung an einem poetischen Blumenstrauß: zu jedem Buchstaben eine Pflanze, zu jeder ein poetischer Text. Anemone zu A, Brennessel zu B, Veilchen zu V, nur zu X fand ich zuerst nix. Dann entdeckte ich in einem Buch, das alle Blütenpflanzen Deutschlands vorstellt, ein Gewächs namens Xanthium. Ich schlug das Bild auf – und war perplex. Das war doch haargenau die Unbekannte von den Poller Wiesen! Wenn ich jetzt noch einmal da vorbeikomme, bin ich es, der grinst:
Ätsch, euch kenne ich auch! 
Doch warum in die Ferne schweifen? Auf einer liebevoll bepflanzten Baumscheibe ganz in der Nähe meiner Wohnung entdeckte ich eine reizende Blume mit leuchtend goldgelben Schalenblüten, die ich gleichfalls nicht kannte. Ich wurde schon neidisch – bis ich mich bückte und sie vorsichtig anfasste: Plastik!
Das alles wird überboten vom Edelweiß! Wer denkt da nicht an Bergabenteuer und Gipfelglück! Ein kleineres Café hier in Köln. Eine Frau, offenbar Stammgast, zeigt dem Personal eine neue Tätowierung auf dem Arm. Die wird auch gebührend bewundert. Dann der Clou: „Und links auf dem Po hab‘ ich ein Edelweiß!“ Ob auch das zur Besichtigung freigegeben wurde, habe ich allerdings nicht abgewartet. Übrigens kann man Edelweiß in Köln sogar in natura bewundern: im Felsengarten in der Flora. Für Geübte ohne Kletter-Ausrüstung zugänglich (für Ungeübte auch). 

Etwas Wichtiges wollte ich auch noch sagen. Was denn nur? Vergessen! Macht nichts, bis zum nächsten Rundbrief fällt es mir bestimmt wieder ein. Ich bin jetzt schon gespannt!

Bis dahin mit herzlichem Gruß


Karl Josef Kassing